03.01.1984: Is alles so schön Bund hier!

Nach der Landung brauchen wir fast zwei Stunden, um bis zum Kofferband zu gelangen. Da wir ohne Visum für maximal 144 Stunden einreisen dürfen, müssen wir uns an der langsamsten Schlange der Immigration-Schalter anstellen. Zum Glück kreisen die Ruxsäcke immer noch einsam auf dem Band und wir sehen sie schon von weitem. Mit der von Siemens gebauten Magnetschwebebahn Maglev (seinerzeit in Deutschland als „Transrapid“ entwickelt) geht es mit über 300 km/h in die Innenstadt Shanghais. Es ist ganz schön kalt hier und wir freuen uns auf das warme Hostelzimmer. 

Im Hostel an sich ist es auch schön warm, nur leider in unserem Zimmer nicht. Da gibt es zwar eine Klimaanlage mit Heizfunktion und eine Elektroheizung zusätzlich, aber die waren offenbar länger nicht in Betrieb. Wir wärmen uns erst einmal mit einem kalten Bier und lassen die Jacken an.

Am nächsten Morgen gehen wir zuerst zum Bund. Das ist eine mehr als ein Kilometer lange Promenade am Huangpu River mit großen Gebäuden aus der britischen Kolonialzeit und einer fantastischen Aussicht auf die andere Wasserseite in Richtung Pudong mit dem Shanghai World Financial Center, dem Jin Mao Tower, dem Fernsehturm Oriental Pearl Tower, dem Shanghai Tower (zur Zeit das vierthöchste Gebäude der Welt) und weiteren Wolkenkratzern. Bei Sonnenlicht sieht die Skyline besonders schön aus, weil die Gebäude dann das Licht reflektieren. Aber wir haben gerade eher Schmuddelwetter, zwar ohne Regen, aber es ist recht dunkel. An den Laternenpfählen hängen oft keine Laternen, dafür Kameras in alle Richtungen und Lautsprecher. 

Vom Bund aus laufen wir zum Yuyuan Garden, einem zwar touristisch überfüllten, aber dennoch sehenswerten Bereich mit einem chinesischen Tempel, einem Garten, Teehäusern und einem Basarbereich in traditionellen chinesischen Häusern. Im Hintergrund kann man von einigen Stellen aus den Shanghai Tower aus sehen, ein schöner Kontrast. Wir laufen zum Sightseeing Tunnel, um nach Pudong zu fahren. In diesem Fußgängertunnel fährt eine Bahn mitten durch eine bunte Lightshow. Dann geht‘s weiter zum Fakemarket. Eigentlich brauchen wir nichts und wollen uns nur mal den Markt ansehen, aber die Angebote sind so gut, dass wir uns mit einer warmen Outdoorhose, einer leichten Daunenjacke und einer roten Mütze ausstatten. 

Mir kommt die Bar in den Sinn, in der ich mal ein Foto von Udo Lindenberg auf einer Kommode habe stehen sehen. Das ist ein alter Jazzclub in einem der Kolonialgebäude und gut geeignet für eine kleine Rast nach dem großen Einkauf. Die U-Bahn bringt uns hin und wir bleiben bis eine Liveband alte Latino-Klassiker spielt. Das Foto von Udo habe ich nicht mehr gefunden.

Am Silvestertag wollen wir endlich rauf auf den Shanghai Tower. Die ganze Stadt ist brechend voll mit Leuten, obwohl das chinesische neue Jahr erst im Februar beginnt. An jeder Ecke stehen Polizeifahrzeuge und Militärposten. Wir wissen, dass es in Shanghai kein Feuerwerk gibt und wundern uns etwas. Leider sind wir nicht die einzigen mit der Idee auf den Turm zu fahren. Es dauert ewig bis wir oben sind, dafür werden wir mit einer nicht so schlechten Aussicht auf alle anderen Wolkenkratzer, den Fluss und die beleuchteten Kolonialgebäude belohnt.

Da die Chinesen Silvester ja nicht feiern, wollen wir am Bund entlang spazieren und da ins neue Jahr rutschen. Keine so schlechte Idee, dachten wir. Aber schon die U-Bahn-Fahrt in die Nähe des Bundes gelingt nicht richtig, weil die passende U-Bahn-Station wegen Überfüllung geschlossen wurde. An der folgenden Station dürfen wir dann aussteigen und den nun langen Weg zum Bund antreten. Aber wir sind nicht alleine. Es kommt uns so vor, als ob alle 24 Millionen Shanghai-Chinesen unsere Idee geklaut hätten. Jetzt wissen wir zumindest wieso die vielen Polizisten und Militärposten schon seit Stunden bereit stehen. Jetzt haben sie sich zu langen Reihen formiert und kanalisieren den Weg zum Bund. 

Leider sind wir so spät dran, dass wir nicht mehr auf die Promenade dürfen, aber unten an den Kolonialbauten ist es auch sehr schön. Wir warten also nicht ganz alleine auf Mitternacht. Um uns herum wird wie wild fotografiert und die Leute sind gut gelaunt, niemand trinkt Alkohol und alle sind ganz normal gekleidet. Dann ist es soweit: Das neue Jahr beginnt mit einer Lightshow auf der Pudong-Seite. Die Wolkenkratzer flimmern und leuchten, was das Zeug hält. Die Kolonialgebäude am Bund warten auch mit einer Lightshow auf und werden mal hell mal weniger hell angestrahlt. Nach 15 Minuten ist die Show vorbei und alle gehen durch die Gassen nach Hause. Das war‘s!

Am 1. Januar geht es rauf auf den Fernsehturm, der in der mittleren Kugel ringsum einen Glasboden hat. An der unteren Kugel gibt es einen Außenbereich und wir haben eine schöne Aussicht auf die Stadt ohne Glasscheiben vor der Nase. Dass die Chinesen ein anderes Verhältnis zu Tieren haben als wir, wissen wir ja. Gut erkennen können wir das auf einem Fleisch- und Fischmarkt und auf einem Vogel- und Kleintiermarkt. Da möchte man kein Tier sein, weder für den Topf noch als Haustier. „Artgerecht“, ob es dafür wohl eine Übersetzung gibt?

Shanghai ist in jedem Fall eine sehenswerte Metropole mit vielen Facetten. Neben dem traditionellen China kann man die Hightech-Gebäude sehen und in welch rasendem Tempo neue Bauten entstehen. Ausgebremst wird man aber immer wieder bei der Nutzung des Internet. The Great Firewall sorgt immer noch für Zugriffssperren. Auch wenn es Möglichkeiten gibt, diese zu umgehen, verlangsamt es den internationalen Datenverkehr. Aber nicht nur das Internet wird massiv überwacht, Kameras und Sicherheitskräfte, seien es Polizei, Militär oder sonstige, sind fast überall und immer präsent, jede Tasche, die man mit in die U-Bahn nimmt, wird kontrolliert. Allerdings kommt es auch schon mal vor, dass der Beamte hinter dem Kontrollmonitor tief und fest schläft. Es geht also auch hier menschlich zu.