27.06.24: Mit dem gelben Postfahrrad durch Sevilla

Es geht saufrüh los! Um 03:15 bringt Klaus vier Tapastanten zum Dortmunder Bahnhof, damit wir den frühen Zug zum Frankfurter Flughafen bekommen. Sylvi, die fünfte im Tapasbund, steigt in Siegburg zu. Die Bahn fährt glücklicherweise pünktlich los und kommt sogar überpünktlich am Flughafen an. Der erste Streckenabschnitt wäre also schon mal geschafft.

Es geht schnell durch die Sicherheit und dann laufen wir zum Gate. Leider haben wir ein Gate ganz am Ende bekommen und müssen ordentlich Meter machen bis dahin. Normalerweise nicht schlimm, wir haben genug Zeit. Aber Britta läuft gerade mit einem schmerzenden Fersensporn durch die Gegend und freut sich über jeden Meter, den wir nicht gehen müssen. 

Wir schaffen es in aller Ruhe zum Gate und warten bis wir die Nachricht bekommen, dass es einen Gatewechsel gibt. Juhu! Wir müssen wieder 24 Gates zurück. Das ist nicht gut für die Fersensporntante. Ich entdecke eine Frau, die einen Rollstuhl verwahrt und offiziell aussieht. Wir fragen, ob sie Britta zu Gate 16 fahren kann. Sie meldet Britta mit ihrem Handy für die Fahrt mit dem Rollstuhl an und los geht’s. Nach 14 Gates muss der Rollstuhl zurückbleiben und Britta soll in einen Wagen umsteigen, da die Dienstzone für sie dort endet.

Kurz vor dem Umstieg mache ich ein Foto von Britta im Rollstuhl. Darauf ist auch die Rollstuhlfrau zu sehen, die das Fotografieren total unlustig findet. Sie wird hysterisch und befiehlt mir, das Foto mit ihr sofort zu löschen. Obwohl ich umgehend zustimme und mich sogar entschuldige, ruft die Furie laut die Polizei, die in der Nähe sitzt. Ein Polizeibeamter kommt zu mir und bittet mich, das Foto für die Frau sichtbar zu löschen. Ich willige natürlich ein, aber die Frau meckert mich unentwegt an. Ich lösche dann das Foto, auf dem sie zu erkennen ist und sie beruhigt sich allmählich wieder. Der Polizist verabschiedet sich und verschwindet wieder. Da bin ich wohl nur knapp einer Inhaftierung am Flughafen Frankfurt entgangen. Das erinnert mich an meinen neuen Patch auf meinem Ruxsack: „bad decisions make good stories“. Wohl wahr.

Nach dem Desaster verzichten wir auf den Weitertransport mit einem Wagen und gehen zu Fuß zum Gate. Da gestern Abend bei der Fußball-EM Georgien gegen Portugal 2:0 gewonnen hat und daher Georgien am Sonntag gegen Spanien im Achtelfinale antritt, habe ich mein Tuch aus Georgien mit der georgischen Flagge drauf an meinem Ruxsack hängen. Ein Mann spricht mich darauf an und fragt, ob er es für ein Foto ausleihen kann. Ich stimme zu, warum nicht?! Sein Freund macht das Foto mit ihm und der kleinen georgischen Flagge und ich bekomme auch eins zusammen mit dem Mann. 

Er erklärt mir, wem er dieses Foto schicken möchte. Es ist für die georgische Opernsängerin Anita Ratschwelischwili, die beste Mezzosopransängerin der Welt. Ich staune. Sie singt auch zusammen mit Jonas Kaufmann, dem deutsch-österreichischen Tenor, der international seine Arien zum besten gibt. Zumindest von Jonas Kaufmann habe ich schon mal gehört. Im Internet finde ich heraus, dass Anita Ratschwelischwili tatsächlich als die zur Zeit beste Opernsängerin auf dem Planeten bezeichnet wird. Ich finde es jedenfalls sehr spannend, was mit meiner kleinen Flagge so passiert, die ich in Georgien erstanden habe.

Dann dürfen wir auch schon an Bord und ich treffe wieder einen netten Menschen, der mir seinen Fensterplatz überlässt und sich auf meinen Gangplatz setzt. Wie schön!

Angekommen in Sevilla fahren wir mit zwei Bussen zu unserem Apartment, das sich mitten im Zentrum befindet. Wir losen vorher, wer von der Eingangstür aus gesehen im Uhrzeigersinn welches Bett bekommt. Ich schlafe diesmal wieder mit dem Hummer in einem Zimmer. 

Zum Apartment gehört eine große Terrasse, von der aus wir direkt auf das Setas-Center nebenan sehen können. Das ist eine spektakuläre Holz-Stahl-Beton-Konstruktion mit einer Markthalle, einem begehbarem Dach und Aussichtspunkt in Form von Pilzen. Das sagen zumindest die Sevillaner. Der Architekt nennt es Metropol Parasol, denn es sollen eigentlich Sonnenschirme darstellen. Uns gefallen die schönen Pilze. Bevor wir ins Apartment gehen, machen wir eine kurze Pause in der Markthalle im Setas-Center.

Nach dem Bezug des Apartments gehen wir einkaufen und besorgen alles Wichtige für ein Tapasessen auf unserer Terrasse. Es gibt lauter Leckereien bei feinstem Ausblick auf die Pilze, die so nah sind, dass wir sie fast anfassen können. Der spanische Wein schmeckt und wir sind gut gelaunt.

Anschließend geht es auf eine erste Besichtigungstour durch Sevilla. Britta hat sich wegen ihres Fersensporns ein gelbes Postfahrrad gemietet, mit dem sie uns begleitet. Wir laufen durch die Altstadtgassen an der Kathedrale vorbei bis ins ehemalige jüdische Viertel Santa Cruz. Dort gibt es viele kleine Gassen mit Restaurants und Läden für Souvenirs, Kunsthandwerk und Keramik. Hier lassen wir uns einfach treiben und beobachten das Geschehen. Anschließend laufen wir zurück zum Apartment und lassen den Abend auf der Dachterrasse ausklingen.

Dann wird es dunkel und die Pilzkonstruktion wird beleuchtet. In vielen Farben sehen wir die Strahler von unten leuchten. Oben auf dem Parasol laufen viele Leute auf Stegen umhergehen. Das wollen wir morgen auch machen.

28.06.24: Abendspaziergang auf den bunten Pilzen

Die Nacht war ganz schön zugig. Es gibt zwar eine Fernbedienung für die Klimaanlage, die sich in der oberen Etage im Wohnzimmer befindet, aber in der unteren Etage existieren nur schmale Schlitze in der Zimmerdecke. Aus diesen Schlitzen strömt permanent kalte Luft. Tagsüber ganz angenehm, aber wenn die Schlitze genau über der Nase liegen, dann ist die Atemwegsinfektion fast unumgänglich. Die Tapastanten möchten, dass ich den Vermieter kontaktiere. Ich bin ja eher do it yourself unterwegs und überlege, morgen Kreppband zum Zukleben zu kaufen. Die Warnschreie ertönen umgehend, daher überlege ich, wie man die Klimaanlage wohl ausschalten kann. 

Ohne Strom wird sie wohl nicht laufen, daher suche ich zusammen mit dem aufgewachten Hummer gegen Mitternacht einen Sicherungskasten. Wir finden einen, in dem sogar eine nummerierte Liste klebt, die die Funktion der jeweiligen Sicherung auflistet. Allerdings fehlen die entsprechenden Nummern auf den Sicherungen, so dass die Zuordnung schwer fällt. Mitten in der Nacht wollen wir keine Experimente mehr machen, daher vermummen wir uns im Bett mit Schals und hoffen, dass der Schnupfen ausbleibt.

Der Eigenschutz wirkt erst einmal, aber morgens mache ich mich doch auf zum Sicherungskasten. Ich zähle mehrfach durch und hoffe, dass ich die richtige Sicherung zu den Klimaschlitzen finden kann. Dann der erste Versuch und: Bäm, Treffer!!! Juhu!! Zumindest für die folgenden Nächte ist vorgesorgt!

Nach dem Frühstück machen wir uns auf zur Stadtbesichtigung. Mercado Triana, auf der anderen Seite des Guadalquivir, ist unser erstes Ziel.  Triana ist ein lebendiges Arbeiterviertel, das viele Stierkämpfer und Flamencotänzer hervorgebracht hat. Hier gibt es keine spektakulären Sehenswürdigkeiten, sondern kleine Straßen, die sich perfekt zum Schlendern eignen. Das ist natürlich unser Terrain zumal die vier weiteren Tapastanten ausgiebig Krams ansehen können, den niemand gebrauchen kann. Manchmal bleibt es auch gar nicht beim Ansehen, daher benötigen wir für die 2,1 Kilometer lange Strecke stundenlang.

Irgendwann landen wir tatsächlich in der Markthalle und freuen uns über das wunderbare Angebot für unsere näxte Pause. Wir bestellen Sardinien, Käse, Iberico Schinken, Sardellen, Tunfisch auf Tomaten. Dazu Rotwein, Weißwein und Sangria. So lässt es sich gut aushalten! 

Anschließend schlendern wir weiter durch Triana bis wir zum Torre del Oro (deutsch: Goldturm) kommen. Der Zweck des Turms war die Kontrolle der Schifffahrt auf dem Guadalquivir. Wenn Schiffe über den Fluss in Sevilla eintrafen, konnten sie hier ihre Ladung, z.B. Gold löschen. Vom Turm aus verlief eine schwere Kette unter Wasser zur anderen Seite, um feindliche Schiffe daran zu hindern, auf dem Fluss zu fahren. Wir gehen rauf und haben einen tollen Blick auf die Stadt.

Nach einem weiteren Gruppenbild, das wir wie immer gerne machen, geht es zum Plaza del Toro, der Stierkampfarena. Zur Zeit ist keine Saison, aber wir können die Arena besichtigen und die Ställe für Pferde und Stiere ansehen. Zum Schluss dürfen wir in die Arena, nicht nur auf die Sitzplätze, sondern auch auf den Plaza selbst. Egal wie man zu Stierkämpfen steht, es ist sehr spannend mal eine Arena zu besuchen.

Nach all dem Gelaufe bekommen wir Hunger und kehren auf dem Weg nach Hause in einem Pallea-Restaurant ein. Die beiden Kellner sind total freundlich und auf Zack. Einer der beiden ist in Lippstadt geboren, aber seine Eltern sind mit ihm, als er klein war, nach Sevilla umgezogen, so dass er kein Deutsch spricht. Aber er ist lustig und hat zwischendurch immer mal Zeit für ein Schwätzchen. Die Paella schmeckt auch super, daher freuen wir uns über die Wahl dieses tollen Restaurants.

Nun müssen wir uns etwas sputen, weil wir für heute Abend Eintrittskarten für die Pilzkonstruktion neben unserem Apartment haben. Wir schaffen es rechtzeitig und sind begeistert oben auf dem Metropol Parasol herumspazieren zu können. Das Farbspiel beschert uns immer neue Eindrücke und wir bleiben lange an verschiedenen Stellen stehen und natürlich machen wir auch viele Fotos. 

Auf dem Weg nach Hause gehen wir noch kurz in die Sportsbar am Parasol, um einen Tisch für morgen Abend für das EM-Spiel Deutschland gegen Dänemark zu reservieren. Reservieren geht leider nicht, aber wenn wir früh genug kommen, dann werden wir bestimmt einen Tisch bekommen, verspricht uns der Besitzer. Na gut, wird schon klappen, glauben wir. 

Wir gehen nach Hause und setzen uns wieder auf unsere geile Dachterrasse. Von da sehen wir weiter das Farbspiel an den Pilzen an. Es kommt uns so vor, als ob wir schon drei Wochen hier sind, weil wir schon so viel gesehen haben. Dabei sind wir gestern erst angereist. So macht das Reisen viel Spaß.

29.06.24: Deutschland zieht in Viertelfinale ein

Die Nachtruhe hat sich etwas verschoben, da wir gestern Abend lange auf dem beleuchteten Parasol verbracht haben. Und dann stand noch das Aussortieren der vielen bunten Fotos auf unserer Dachterrasse an. Für heute haben wir uns daher nur den Besuch des Mercado Artesania El Postigo vorgenommen. Für den 1,2 Kilometer langen Marsch durch die Fußgängerzone brauchen wir wieder mal viel länger als gedacht, aber da wir keine Termine haben, macht das ja nix aus. 

An der Kathedrale treffen wir die fliegenden Händler mit ihren Fußballtrikots aus aller Welt. Das ist doch mal eine gute Gelegenheit sich um die Garderobe für den heutigen Fußballabend zu kümmern. Das heißbegehrte und bei uns längst ausverkaufte pinke EM-Trikot der deutschen Nationalmannschaft ist hier noch in allen Größen reichlich vorhanden. 

Der Mercado Artesania beherbergt in einem schönen alten Gebäude neben dem Stadttor auf zwei Etagen typisch spanisches Kunsthandwerk und Design. Der Besuch lohnt sich. Anschließend machen wir eine kurze Pause in einem kleinen Restaurant. Der Kellner scheint heute nicht seinen besten Tag zu haben, er ist unfreundlich und hat offenbar keine Lust uns ordentlich zu bedienen. Wir bleiben nur kurz und beschließen dann unsere Dachterrasse zur Tapasbar umzufunktionieren und da zu essen. Da sind wenigstens alle freundlich und der Ausblick ist auch grandios.

Heute Abend gehen wir in die kleine Sportsbar um die Ecke, um das Achtelfinale „Deutschland – Dänemark“ zu sehen. Der Besitzer erkennt uns sofort wieder und freut sich. Zuerst bekommen wir einen recht guten Platz am einzigen Fernseher im Raum. Als die Italiener um die Ecke ihren Tisch verlassen, nachdem Italien gegen die Schweiz verloren hat, können wir auf den Premiumplatz direkt vor dem Bildschirm wechseln. Jetzt wird es gleich spannend.

Das Spiel beginnt und in Minute vier springen wir auf, weil das erste Tor für Deutschland fällt. Leider wird es nicht gewertet. Es geht also ohne Tor weiter. In der 35. Minute wird das Spiel unterbrochen, weil es in Dortmund schwer gewittert. Die Bilder sind absolut krass. Es schüttet Wasserfälle vom Himmel, die ins Dortmunder Westfalenstadion herunterprasseln. Die Zuschauer müssen sich von den unteren Sitzreihen nach oben retten. Wir sehen auch gut gelaunte Fans, die absichtlich im Wasserfall duschen. Die Fans im Stadion sind also scheinbar trotzdem gut gelaunt.

Nach 20 Minuten geht das Spiel weiter. In Minute 53 fällt das erste Tor für Deutschland und wir springen auf und freuen uns. Mit uns freuen sich ein paar Spanierinnen, die sich dann aber wünschen, dass Spanien Europameister wird. Na klar. Heute freuen sie sich aber erst einmal mit uns. In der 68. Minute dann das zweite Tor. Mittlerweile sitzen viele Spanierinnen um uns herum, die sich mit uns freuen. Klasse, es macht viel Spaß in der Kneipe und natürlich freuen wir uns darüber, dass Deutschland weitergekommen ist.

30.06.24: Die Postkutschenflotte erobert Sevilla

Als erstes leihen wir vier uns auch so eine schöne gelbe Postkutsche wie Britta. Mirco von Bunny Bike wartet schon auf uns. Wir fahren zuerst zum Plaza de España, der zur iberoamerikanischen Ausstellung 1929 erbaut wurde. Das halbkreisförmige Gebäude, das sich um den Platz legt, soll eine Umarmung der südamerikanischen Kolonien der durch Spanien symbolisieren. Außerdem zeigt die Öffnung des Halbkreises in Richtung Fluss, als Parabel für den Weg, dem man folgen muss, um nach Amerika zu gelangen.

Der Platz sieht toll aus, auch wenn die Bühnenaufbauten in der Mitte den sonst so großzügig wirkenden Platz etwas stören. Aber ich finde es super, dass in diesem Ambiente im Sommer offenbar Konzerte stattfinden. Das ist doch wunderbar. Wir schwingen uns wieder auf unsere Postbikes und fahren in Richtung Amerika. Da landen wir wie erwartet am Plaza de America. Im Hauptgebäude befindet sich ein Museum und ein schönes Klo. 

Dann fahren wir ein bisschen am Fluss entlang und kehren in einer schönen Bar am Wasser ein, bevor es zurück zur Kathedrale geht. Heute geht es endlich in die Kathedrale und auf den zugehörigen Turm Giralda. Wir müssen uns in 35 Etappen um das Zentrum des Turms winden, bis wir oben sind. Dafür werden wir mit einem herrlichen Ausblick ringsherum auf Sevilla belohnt. 

Wieder unten geht es in die prunkvolle Kathedrale des Erzbistums von Sevilla mit dem Grabmal von Christoph Kolumbus. Die vier Sargträger verkörpern die Königreiche Kastilien, León, Aragón und Navarra. Danach gehen wir in den Innenhof, in dem viele Bäume mit Orangen, Zitronen und Limonen stehen. Der Blick rauf zum Turm mit dem leuchtend blauen Himmel ist fantastisch.

Nach einer Erfrischungspause machen wir uns auf den Weg zum Alcázar, dem mittelalterlichen Königspalast von Sevilla. Er wird immer noch als offizielle Residenz der Königsfamilie genutzt, wenn sich diese in Sevilla aufhält. Die Räume im Gebäude sind mit vielen gemusterten Kacheln versehen, wie sie typisch für Sevilla sind. Die Gartenanlagen sind einfach nur großartig. Wir schlendern eine Zeit lang durch die Gebäude und den Garten und gehen dann zurück zu unseren Fahrrädern, da wir sie heute Abend zurückgeben müssen.

Nach der Rückgabe der gelben Postkutschen gehen wir zurück nach Hause und machen eine kurze Pizzapause bevor wir wieder in unsere kleine Sportsbar gehen, um das Spiel Spanien gegen Georgien zu sehen. Vielleicht spielen wir am Freitag ja auch gegen Georgien. 🙂 Die kleine Sportsbar ist nicht voll, wir haben Glück und bekommen noch einen guten Tisch mit Blick auf den Fernseher. Heute bleibt die Musik aus und wir hören den spanischen Kommentar zum Spiel. Es endet 4:1 für Spanien und damit steht unser Viertelfinalgegner Spanien fest. 

Wir gehen nach Hause auf unsere Dachterrasse, sehen noch einmal auf die bunten Pilze und freuen uns über die tolle Tour, die wir wieder zusammen hatten. Wir haben bei bestem Wetter sehr viel zusammen erlebt, haben immer wieder Gruppenbilder gemacht und haben viel gelacht. Es hätte nicht schöner sein können.