19.04.24: Checkin am Tag davor

Heute fahre ich zum Landschaftspark Duisburg Nord. Dieser Park liegt auf dem Gelände des stillgelegten Hüttenwerks Duisburg-Meiderich. Hier finden sich fantastische Anlagen der Industriekultur mit Hochöfen, alten Betriebshallen und einem Gasometer. Hier gibt es, insbesondere im Sommer, viele kulturelle Veranstaltungen vom Klavierkonzert über Freilichtkino, Lichtinstallationen, Fahrradtouren bis hin zum Tauchen im Gasometer.

Allerdings ist der Landschaftspark heute für mich aus einem ganz anderen Grund das Ziel. Ich will morgen früh am Mammutmarsch teilnehmen und habe mich für die längste Strecke über 55 Kilometer angemeldet. 30 Kilometer kann ich schaffen, das weiß ich schon vom Jakobsweg. 42 Kilometer kann ich auch schaffen, diese Länge bin ich neulich noch auf Texel gewandert. Aber 55 Kilometer ist eben noch ein ganzes Stück weiter und ich habe großen Respekt vor der Strecke und der Dauer, die ich benötige. Aber man wächst ja bekanntlich mit seinen Aufgaben, daher will ich es unbedingt versuchen. Ich bin ja auch nicht das einzige verrückte Mammut und hoffe, dass mich die Herde mitzieht.

Ich stelle den roten Bus auf dem großen Parkplatz am Landschaftspark ab und übernachte hier, damit ich morgen früh nicht erst anreisen muss. Heute Nachmittag kann ich bereits einchecken und mein Startband für meine Startgruppe abholen. Ohne dieses Band, auf dem die Startgruppe steht, kann ich nicht zur gewählten Zeit loslaufen. Der Checkin geht sehr schnell und ich treffe schon einige Mammuts, die morgen mit mir loslaufen.

Am Abend gibt es eine Pastaparty in einem Duisburger Brauhaus. Ich hatte mich im Vorfeld über eine Facebook-Gruppe dazu angemeldet. Vor der Wanderung den Kohlehydrat-Speicher zu füllen, ist ja sehr sinnvoll. 

Mit der Straßenbahn fahre ich ins Dellviertel zum Webster Brauhaus. Bevor ich reingehe komme ich an einem Zeemann-Laden vorbei. Da springe ich mal schnell rein, es könnte ja zufällig sein, dass die Regenüberzieher für Schuhe haben, denn meine habe ich zu Hause nicht gefunden und der Wetterbericht für morgen sieht gruselig aus. Regenüberzieher haben sie nicht, aber ich entdecke eine Rolle Frischhaltefolie. Wenn das mal nichts ist für morgen. Zack, gekauft. Vielleicht kann sie mir morgen nütztlich werden.

Dann gehe ich ins Brauhaus und setze mich an einen Tisch mit Moni und Lutz aus Berlin, die Kinder in Hamburg haben und im letzten Jahr auch den Jakobsweg gelaufen sind. Da haben wir natürlich genug Gesprächsthemen. Nur mit der Pasta will es nicht so recht klappen, denn es gibt gar keine. Wir können aus 5 Gerichten auswählen, da über einhundert Mammuts gekommen sind. Leider ist nicht eine Nudel dabei. Da muss mir irgendwas entgangen sein. Macht nichts, ich esse einfach was anderes.

Mit der Straßenbahn geht es zurück zum Bus. Der Parkplatz hat sich mittlerweile gut gefüllt. Ich packe die Frischhaltefolie in den Ruxsack und lege mich in mein kuscheliges Busbett!

20.04.24: 55 Kilometer durchs Ruhrgebiet 

Ich bin in Startgruppe 1! Um 06:40 Uhr geht es für mich los. Vom Bus zum Start laufe ich einen Kilometer. Leider zählt dieser Kilometer noch nicht zu den 55 dazu. Es ist ganz schön kalt (um die 5 Grad), daher ist der berühmte Zwiebellook die Wahl des Tages. In meinem Ruxsack befindet sich neben der Frischhaltefolie vor allem Proviant, trockene Socken, Regenjacke, Regenhose, ein Paar Crocs und natürlich jede Menge Blasenpflaster. Bevor ich zum Start gehe tape ich meine Füße an möglichen Scheuerstellen und klebe auch schon mal Blasenpflaster auf, damit sich möglichst erst keine Blasen bilden.

Leider ist der Wetterbericht immer noch schlecht. Es ist ziemlich viel Regen angesagt und im Moment tobt ein Schauer draußen. Den warte ich ab bevor ich mich auf den Weg zum Start mache. Dadurch wird es allerdings etwas spät und ich schaffe es nicht rechtzeitig in meine Startgruppe. Mit 5 Minuten Verspätung rolle ich das Feld von hinten auf und laufe erst einmal ziemlich schnell mit einem Essener Feuerwehrmann, der mir schon mal verrät, dass es später hoch zum Tetraeder 368 Stufen sind. Irgendwann läuft er schneller und ich treffe auf ein Mammut mit einem Patch auf dem Ruxsack: „Bad decisions make good stories“. Das gefällt mir, ich spreche sie an und wir laufen einige Kilometer zusammen bis sie am Verpflegungspunkt anhalten will.

Kurze Zeit später treffe ich Julia aus Gießen. Es passt mit unserer Geschwindigkeit und wir finden viele Gesprächsthemen, so dass die Zeit zusammen mit den Kilometern recht schnell verfliegt. Wir laufen von da an bis zum Ziel zusammen. Das Wetter ist kalt und es regnet immer mal wieder, aber zum Glück ist es kein Dauerregen und auch kein starker Regen. Es gibt immer mal wieder Schauer und dazwischen sonnige Abschnitte. Daher laufen wir in Regenkleidung bis kurz vorm Ziel. Nach 38 Kilometern kommt die berüchtigte Treppe rauf zum Tetraeder. Wir schnaufen die 368 Stufen hoch, ganz oben werden wir mit Jubel und Mammutgummibärchen belohnt. 

Endlich können wir das Tetraeder in der Sonne leuchten sehen. Ich schlage Julia vor, etwas ganz Verrücktes zu machen und das Tetraeder hochzugehen, obwohl das natürlich nicht zum Marsch gehört. Sie winkt ab, aber ich möchte sehr gerne rauflaufen. Die paar zusätzlichen Stufen machen den Kohl heute auch nicht fett. Ich schlage Julia vor, dass sie weiterläuft und wir uns dann im Ziel sehe, aber sie will auf mich warten und nimmt auf einer Bank Platz. OK, dann kann ich ohne meinen Ruxsack hoch und beeile mich. Schon beim Erklimmen der Stufen nach oben merke ich wie meine rechte Wade etwas krampft und der linke Fuß ebenfalls. Ich werde langsamer und es geht wieder ganz gut. Oben angekommem habe ich einen fantastischen Rundblick über das Ruhrgebiet und die Sonne lacht ebenfalls. In der Ferne sehe ich aber schon den näxten Schauer auf uns zukommen, daher beeile ich mich nach unten zu kommen. 

Auf den letzten Stufen krampfen meine Füße wieder leicht und ich trinke schnell etwas von meinem Elektrolytewasser, das sich in meiner Flasche befindet. Das reicht offenbar nicht und ich kann so nicht gut weiterlaufen. Julia findet ihr Magnesium nicht und ich spreche einfach die drei Jungs hinter uns an und frage, ob sie Magnesium dabei haben. Haben sie nicht, dafür Traubenzucker. Das begeistert mich nicht, aber ich bekomme den Befehl sofort einige Traubenzuckertafeln zu essen, dann hören die Krämpfe sehr schnell auf. Naja, kann ich ja zumindest versuchen. Ich esse vier von den ekelhaft süßen Dingern und fünf Minuten später sind die Krämpfe weg. Unglaublich! Hatte der doch tatsächlich recht. Jetzt können wir wieder die übliche Geschwindigkeit aufnehmen.

Bei Kilometer 45 befindet sich der letzte Verpflegungspunkt. Mein Regenponcho verschwindet im Ruxsack und ich hole die Crocs hervor, die ich auf den letzten Kilometern anziehe. Meine Fußsohlen schmerzen mittlerweile so stark, dass sich meine Füße über die weichen Sohlen sehr freuen. Und weitere 10 Kilometer sind ja vergleichsweise ein Klax. Wenn man nicht schon 45 Kilometer gelaufen wäre. Egal, es geht weiter auf die letzten Kilometer. Wir erwarten sehnsüchtig das 50 Kilometer-Schild, das endlich irgendwann an einem Straßenschild auftaucht. Nun bin ich noch einmal richtig motiviert, nur noch 5 kleine Kilometerchen. 

Wir überholen plötzlich die Jungs, die mir den Traubenzucker gegeben haben. Ich frage, ob sie gar nicht ins Ziel wollen, weil sie so langsam gehen. Sie erkennen uns und schimpfen, denn schließlich haben sie mir vorhin geholfen. Ich verrate ihnen, dass im Traubenzucker ein Turbo versteckt war, der uns jetzt schnell ins Ziel befördert. Wir lachen alle zusammen. Das sind die schönen Begegnungen, die ich schon auf dem Jakobsweg so geliebt habe. Man kommt mit ganz fremden Menschen ins Gespräch, hilft sich untereinander und gewinnt Freunde dazu. Da vergisst man sogar die schmerzenden Füße.

Drei Kilometer vorm Ziel kommt mir die restliche Strecke dann wieder unendlich lang vor. Sie zieht sich wie ein Kaugummi. Mit Julia an meiner Seite halte ich die Geschwindigkeit, auch wenn es schwer fällt. Dann sehen wir endlich den Landschaftspark. Leider müssen wir nun trotzdem noch einen Kilometer über das Gelände bis zum Ziel laufen. Auf einer Bank ziehen wir die Regenjacken aus, denn Julias Mutter wartet im Ziel und will ein Video von uns drehen. Und da müssen wir schließlich ordentlich aussehen. 

Geschafft!!! Die Ziellinie ist überschritten und wir freuen uns über die vollbrachte Leistung. Es gibt eine Medaille, eine Urkunde und ein Bier. Das haben wir uns redlich verdient. Ich verabschiede mich von Julia, wir bleiben sicher in Kontakt.

Ergebnis: 55 Kilometer in 10,5 Stunden Laufzeit plus 1 Stunde 15 Minuten Pausenzeit. Macht eine Geschwindigkeit von ungefähr 5,4 Kilometern pro Stunde. Juhu!

Anschließend watschel ich wie eine lahme Ente zurück zum Parkplatz, auf dem mein Bus steht. Mir kommen jede Menge Wanderer entgegen, die ins Ziel wollen. Offenbar sehe ich so bemitleidenswert aus, dass ich sogar schon angefeuert werde. „Du schaffst es!“ ruft mir einer entgegen. Ja, ich schaffe es tatsächlich zurück zum Bus, frage mich aber, wie ich denn jetzt wohl Gaspedal, Kupplung und Bremse betätigen soll. Nach einer kurzen Verschnaufpause geht es dann und ich fahre nach Hause. Das Laufen fällt mir auch zu Hause wirklich schwer, ich humpele ins Haus und setze mich hin. Klaus freut sich mit mir über die Leistung und räumt den Bus aus, denn das schaffe ich heute nicht mehr. Meine Nachbarn, die die 42 Kilometer gewandert sind, bewegen sich auch wie Zombies durch die Gegend. Wir essen zusammen und erzählen über unsere Mammutmarscherlebnisse.

21.04.24: Aua aua

Heute Nacht muss Klaus aus dem Schlafzimmer ausziehen, meint er. Er behauptet, dass ich die ganze Nacht „Aus aua!“ gerufen habe. Das stimmt bestimmt gar nicht, aber ich spüre jeden Knochen einzeln und alles tut weh. Ich fühle mich wie ein einziger großer Muskelkater. Aber Zeit heilt ja bekanntlich alle Wunden, daher bin ich guter Dinge.